Die Taliban

In diesem Kontext bildete sich im Herbst 1994 mit pakistanischer Unterstützung, die paschtunisch dominierte Bewegung der Taliban. Ihre Kämpfer rekrutierten sich zu einem großen Teil aus Studenten fundamentalistischer Koranschulen (Madrassas) in Pakistan. Von der Bevölkerung wurden die Taliban zunächst als Befreier von den chaotischen Verhältnissen unter den Mujaheddin begrüßt, entpuppten sich jedoch bald als rigorose Verfechter radikalislamischer Traditionen, die durch drakonische Strafen und die diskriminierende Behandlung von Frauen in Erscheinung traten. Es gelang den Taliban, innerhalb kürzester Zeit große Teile des Landes unter ihre Kontrolle zu bringen und im September 1996 Kabul einzunehmen.

Um den Vormarsch der Taliban zu stoppen, schlossen sich die ehemals rivalisierenden Gruppierungen der Mujaheddin zu einem Zweckbündnis, der sogenannten „Nordallianz“, zusammen. Seit 1998 kontrollierte die Nordallianz jedoch nur noch zwischen fünf und zehn Prozent des tadschikisch besiedelten Nordostens. Trotz wiederholter Offensiven beider Kriegsparteien stagnierte der Frontverlauf.

Die Situation im Inneren des Landes ändert sich jedoch entscheidend, nach den terroristischen Anschlägen auf das New Yorker World Trade Centre und das Pentagon in Washington am 11. September 2001. Als Hauptverdächtige für die Attentate identifizierten die amerikanischen Behörden umgehend den in Afghanistan lebenden saudi-arabischen Multimillionär Osama bin Laden und das Terror-Netzwerk Al-Qaida. Seit den 1980er Jahren kämpfte Bin Laden mit anderen Freiwilligen aus der arabischen Welt im afghanischen Widerstandskampf und genoss seit der Machtübernahme der Taliban deren Gastfreundschaft. Nachdem die Taliban, die amerikanische Forderung nach einer Auslieferung Bin Ladens zurückgewiesen hatten, organisierte die USA, abgesichert durch eine diplomatische „Allianz gegen den Terror“, den militärischen Aufmarsch in der Region. Am 7. Oktober begannen mit Unterstützung Großbritanniens die ersten Bombardierungen auf Stellungen der Taliban und der Al-Qaida. Gleichzeitig erhielt die Nordallianz massive Unterstützung durch die USA und anderer Staaten der „Allianz gegen den Terror“. Nur einen knappen Monat nach Beginn der Luftschläge gelang der Nordallianz ein überraschend schneller Vormarsch, der am 13. November zur Einnahme Kabuls führte und in den folgenden Tagen die im Süden des Landes gelegene Taliban-Hochburg Kandahar erreichte.

Obwohl die Bewegung der Taliban militärisch am Ende zu sein scheint, steht Afghanistan eine ungewisse politische Zukunft bevor. Am 27. November begann auf dem Petersberg bei Bonn unter der Schirmherrschaft der UNO eine Afghanistan-Konferenz mit Vertretern der wichtigsten Volksgruppen des Landes, um die Voraussetzungen für eine breitangelegte, multiethnische afghanische Übergangsregierung zu schaffen. Ob allerdings eine dauerhafte Befriedung Afghanistans nach fast 30 Jahren Bürgerkrieg möglich ist, bleibt ebenso fraglich wie die Chancen, das ruinierte Land mit internationaler Hilfe wirtschaftlich wiederaufzubauen.