Das Reich der Durrani

Die politische Geschichte Afghanistans als eigener Staat begann 1747, als der persische Eroberer Nadir Schah ermordet wurde und ein Machtvakuum hinterließ. Damit war die Möglichkeit für ein selbstständiges Afghanistan gekommen. Unter den beiden miteinander verfeindeten paschtunischen Stammesverbänden, den Ghilzai und den Abdali (später Durrani), konnten sich die Abdali durchsetzen: sie ernannten ihren Führer unter dem Namen Ahmad Schah Durrani zum König der Afghanen. Ahmad Schah gilt allgemein als Begründer des afghanischen Staates. Von den meisten Stammesführern unterstützt, begann er mit der Einigung des Landes und dehnte seinen Einfluss von Meshed bis nach Kashmir und Delhi, sowie vom Oxus bis an das Arabische Meer aus. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war das Herrschaftsgebiet der Durrani, das zweitgrößte muslimische Reich, nur übertroffen von dem der Osmanen.

Die Zeit nach dem Tod von Ahmad Schah im Jahr 1772 wurde jedoch bis zur Herrschaft von Amir Abdul Rahman zum Ende des 19. Jahrhunderts durch ständige Auseinandersetzungen zwischen Ghilzai und Abdali (Durrani) sowie Intrigen, Mord und Verrat innerhalb der Herrscherfamilie geprägt.

Die Nachfolge von Ahmad Schah trat sein zweiter Sohn Timur Schah an, der jedoch wenig Unterstützung von den Stammesführern bekam und einen Großteil seiner Herrschaft damit verbrachte ihre Rebellionen niederzuschlagen. Der Widerstand gegen seine Herrschaft zwang ihn 1776 die Hauptstadt von Kandahar nach Kabul zu verlegen.

Anstelle von loyalen Stammesführern hinterließ Timur Schah einundzwanzig Söhne, von denen die meisten die Nachfolge ihres Vaters anstrebten. Timur Schah hatte sie als Provinzgouverneure eingesetzt. Nach dem Tod von Timur im Jahr 1793 lud sein fünfter Sohn Saman, der Gouverneur von Kabul, seine Brüder ein, um über die Nachfolge zu entscheiden. Außer Humayun und Mahmud, den Gouverneuren von Kandahar und Herat, kamen alle. Saman ließ die Anwesenden und ihre Gefolgsleute gefangen nehmen und erklärte sich selbst zum Herrscher. Um seine Herrschaft und das Reich zu verteidigen, wurde Saman Schah während seiner kurzen Regierungszeit (1793-1801) in eine Vielzahl von Kämpfen verwickelt. Es kam immer wieder zu Unruhen in den Provinzen, deren einheimische oder paschtunische Gouverneure einerseits untereinander, andererseits aber auch gegen den Herrscher intrigierten und kämpften. Im Punjab waren die Sikhs ein ständiger Unruheherd: Saman Schah ernannte hier 1798 Ranjit Singh zum Gouverneur von Lahore, unter dem das Sikh-Reich später ein wichtiger politischer Faktor werden sollte.

 

Die Krönung Ranjit Singhs in Lahore

Nachfolgekämpfe in Belutschistan, einfallende Usbeken im Norden des Landes und die Bedrängnis durch die in Persien an die Macht gekommenen Kadscharen, zeigten jedoch schon an, dass das Reich der Durrani begonnen hatte, sich aufzulösen.

Als Saman Schah sich mit der Absicht, die Eroberungserfolge seines Großvaters, Ahmad Schah, zu wiederholen, Richtung Indien wandte, schickten die Engländer 1799 einen Unterhändler nach Persien, um den Schah dazu zu bewegen Afghanistan anzugreifen und so den Druck von Indien abzuwenden. Der persische Schah ging einen Schritt weiter, unterstützte den Gouverneur von Herat, Samans Bruder Mahmud, mit Männern und Geld und ermutigte ihn auf Kandahar zu marschieren. Mahmud nahm die Stadt ein und setzte seinen Vormarsch auf Kabul fort. Saman, der sich in Indien aufhielt, eilte zurück nach Afghanistan, wurde jedoch an Mahmud ausgeliefert (1800), der ihm das Augenlicht nahm und einkerkern ließ.

Die Herrschaft Mahmud Schahs, der die Staatsgeschäfte seinem Wesir Fateh Chan Baraksai überließ, dauerte jedoch nur drei Jahre: eine Intrige der Stammesführer brachte Samans Bruder Schah Schoja 1803 auf den Thron.

Zu diesem Zeitpunkt waren die Stammesführer sehr mächtig und eigenständig geworden; die äußeren Provinzen strebten ihre Unabhängigkeit an. Im Westen bedrohten die Perser, im Norden die Usbeken und im Osten die Sikhs aus dem Punjab die Einheit des afghanischen Territoriums.

Dazu verstärkte sich der Einfluss europäischer Staaten. In Europa befand sich Napoleon auf dem Höhepunkt seiner Macht und schlug dem russischen Zaren Alexander I. 1807 eine gemeinsame Invasion Indiens vor. Um diesem drohenden Einmarsch (der jedoch nie stattfinden sollte) zu begegnen und über Gegenmaßnahmen zu beraten, traf sich in Peshawar eine britische Delegation unter Mountstuart Elphinstone mit Schah Schoja. Am 7. Juni 1809 wurde ein Freundschaftsvertrag geschlossen, indem der Schah einwilligte, keine fremden Truppen durch sein Land ziehen zu lassen. Während die Delegation Schah Schojas in Peshawar verhandelte, war Kabul von den Truppen des ehemaligen Herrschers Mahmud und Fateh Chans besetzt worden. Als Schah Schoja aus Peshawar zurückkehren wollte, wurden seine Truppen vertrieben, er selbst floh aus Afghanistan. Schah Muhmad blieb bis 1818 Herrscher.