Zwischen den Kolonialmächten

Seither war es schwierig, noch von einem einzelnen Herrscher Afghanistans zu sprechen. Die einzelnen Anwärter versuchten Provinzen für sich zu sichern und bekämpften sich gegenseitig. Zu diesem Zeitpunkt war das damalige Reich von Ahmed Schah, dass sich ursprünglich im Westen bis in den östlichen Iran und im Osten bis nach Kashmir, Belutschistan und in den Punjab erstreckte, vollständig zerfallen: Die afghanischen Gebiete jenseits des Indus wurden von den Sikhs besetzt, die Provinzen Sindh und Belutschistan waren in die Unabhängigkeit getreten. Weiterhin war das Land an seinen Außengrenzen einem konstanten Druck ausgesetzt: im Osten durch das persische Reich, im Norden durch die Russen und im Westen durch die Briten, welche ihr Kolonialreich auf Afghanistan ausdehnen wollten.

Der erste wieder einflussreiche Herrscher in Afghanistan war ein Muhammadsai. Diese verdankten ihren Aufstieg Fateh Chans, der als Wesir Schah Mahmuds, vielen seiner Brüder Gouverneursposten verschafft hatte. Dem jüngsten Bruder Fateh Chans, Dost Muhammad, gelang es auch im Jahr 1826 Kabul zu erobern und die Herrschaft über Ostafghanistan zu übernehmen.

Die Zersplitterung Afghanistans in kleine Herrschaftsgebiete nutzten die Engländer und Russen für ihre Politik. Russische Emissäre trafen in Kandahar und Kabul ein, um die dortigen Regenten für ihre Politik in Persien zu gewinnen. Die britischen Gesandten in Kabul und Herat dagegen versuchten, den Einfluss der Russen auszuschalten und zu verhindern, dass Persien komplett unter russischen Einfluss fallen würde. Dost Muhammad, dessen Ziel es war, alle Provinzen unter seine Kontrolle zu bringen, verhandelte mit beiden Seiten. Als die Briten jedoch Dost Muhammads Gesuch um Unterstützung afghanischer Gebietsansprüche im Punjab ablehnten und dieser daraufhin Russland um Hilfe bat, zog die britische Mission ab.

Der 60-Meilen lange Bolan Pass, durch den die britisch-indische Armee in Afghanistan mit knapp 30.000 Soldaten einmarschierte

Um einer russischen Einflussnahme auf Afghanistan zuvorzukommen ordnete Lord Auckland, Generalgouverneur von Indien, eine Invasion Afghanistans an, mit dem Ziel Schah Schuja wieder auf den Thron zu setzen. 1838 marschierte eine britisch-indische Armee in Afghanistan ein. Der Erste Anglo-Afghanische Krieg (1838-1842) begann. Die Angreifer stießen auf keine nennenswerte Gegenwehr und eroberten Kandahar im April 1839 und Ghasna im Juli desselben Jahres. Als Kabul im August fiel, wurde Schah Schoja auf den afghanischen Thron gesetzt. Dost Mohammed wurde von den Briten gefangen genommen.

Die Afghanen lehnten sich jedoch gegen die ausländische Besatzungsmacht auf, die ihnen einen König aufgezwungen hatte. Am 2. November 1841 führte Akbar Khan, ein Sohn von Dost Mohammed, einen erfolgreichen Aufstand gegen Schah Schoja und die britisch-indischen Garnisonen im Land durch. Eine britisch-indische Strafexpedition konnte die Garnisonen jedoch nur für kurze Zeit stärken. Den Engländer blieb keine andere Wahl, als das Land zu verlassen. Der britische Rückzug im Januar 1842 endete in einem Blutbad, als afghanische Truppen den ca. 4.500 britischen und indischen Truppen sowie 12.000 Siedlern in den Bergen auflauerten und sie überfielen. Dost Mohammed bestieg im Jahr 1843, nachdem er aus der Gefangenschaft entlassen worden war, wieder den Thron. Schah Schoja war nach dem Rückzug der Briten ermordet worden.

In den nächsten zwanzig Jahren konsolidierte Dost Mohammed seine Herrschaft: es gelang ihm, sich in allen Provinzen Afghanistans durchzusetzen; nur die Rückeroberung der von den Sikhs besetzen Gebiete im Punjab erreichte er nicht.

Die Beziehungen zwischen Afghanistan und Britisch-Indien blieben angespannt, bis Dost Mohammed 1855 mit der indischen Regierung ein Friedensabkommen schloss.

Nach dem Tod Dost Mohammeds 1863 regierte sein drittältester Sohn Scher Ali das Land bis zu seinem Tod am 21. Februar 1879. Auch seine Regierungszeit war durch interne Auseinandersetzungen gestört. Im Jahr 1873 trafen die Russen mit den Engländern ein Abkommen, wonach die Oxus-Linie die Grenze zwischen beiden Interessengebieten sein sollte. Afghanistan gehörte somit zum britischen Einflussgebiet, sollte aber neutral sein. Scher Alis russlandfreundliche Politik weckte jedoch die Feindschaft der Briten und löste 1878 den zweiten Anglo-Afghanischen Krieg aus. Im November 1878 marschierten wieder britisch-indische Streitkräfte in Afghanistan ein und fügten den Afghanen schwere Verluste zu. Yakub, Sohn und seit März 1879 Nachfolger Scher Alis, unterzeichnete am 26. Mai 1879 den Vertrag von Gandumak, durch den Afghanistan seine außenpolitische Selbstständigkeit verlor. Yakub Khan willigte ein, eine permanente britische Botschaft in Kabul einzurichten und seine Außenpolitik in enger Abstimmung und unter Berücksichtigung der „Wünsche und Ratschläge“ der britischen Regierung durchzuführen. Der britische Triumph währte jedoch nur kurz. Am 3. September 1879 wurden die britischen Diplomaten in Kabul ermordet, und es kam zu Aufständen im Land.

Die Ereignisse von 1842 wiederholten sich jedoch nicht: Kabul wurde im Oktober erneut besetzt; Yakub wurde gezwungen abzudanken. Die Engländer entschlossen sich dazu, Abdul Rahman, einen Enkel von Dost Mohammed, auf den Thron zu setzen.